Rechtstipps

Verfassungskonforme Ertragsbewertung von Grundstücken

Charakteristik des Ertragswertverfahrens

 

Mietwohngrundstücke, Geschäftsgrundstücke und gemischt genutzte Grundstücke, für die sich auf dem örtlichen Grundstücksmarkt eine übliche Miete ermitteln lässt, werden nach den §§ 184 ff BewG im Ertragswertverfahren bewertet. Es handelt sich dabei nicht um ein reines Ertragswertverfahren, sondern um ein Mischverfahren. Denn der Wert des Grundstücks, also des Grund und Bodens wird im Vergleichswertverfahren ermittelt, nach dem Bodenrichtwert eines fiktiven Vergleichsgrundstücks. Nur das Gebäude wird nach dem Ertrag bewertet. Dafür werden die Reinerträge aus der Vermietung berechnet als Differenz zwischen den Roherträgen und den Bewirtschaftungskosten. Diese Reinerträge werden auf Grundstück und Gebäude aufgeteilt. Sodann werden die Reinerträge, die auf das Gebäude entfallen, auf den Bewertungsstichtag abgezinst. Die Summe ihrer Barwerte ergibt den Ertragswert des Gebäudes. Zu guter Letzt werden der Bodenwert und der Gebäudeertragswert addiert. Das ergibt den gesuchten gemeinen Wert des Grundstücks. 

 

Einkommensteuer bei der Unternehmensbewertung

 

Der Erwerb eines Unternehmens oder einer Unternehmensbeteiligung ist ein Mittel zur Erzielung eines konsumierbaren Einkommens. Deshalb werden die Ertragsteuern in die Bewertung einbezogen, die auf die Gewinne gezahlt werden müssen. Die Einkommensteuer der Gesellschafter einer Personengesellschaft oder eines Einzelunternehmers wird typisierend mit einem Satz von 35 % berücksichtigt. Diesem Bewertungskonzept folgt das BewG bei der Bewertung von Betriebsvermögen im vereinfachten Ertragswertverfahren. Nach § 202 Abs. 2 BewG wird der tatsächliche Ertragsteueraufwand neutralisiert, und nach § 202 Abs. 3 BewG ist ein positives Betriebsergebnis zur Abgeltung des Ertragsteueraufwands um 30 % zu mindern.

 

Einkommensteuer bei der Ertragsbewertung bebauter Grundstücke

 

Auch mit der Investition in ein Grundstück, das vermietet werden soll, wird konsumierbares Einkommen erstrebt. Wenn hier die Wertminderung des Reinertrags durch die Einkommensteuer im Ertragswertverfahren nicht berücksichtigt wird, ist der Gebäudeertragswert um den Barwert der künftigen Einkommensteuerzahlungen überhöht. Denn dadurch wird der Barwert einer finanziellen Last zum Teilbetrag eines Vermögenswertes gemacht, und von ihm wird Schenkungsteuer oder Erbschaftsteuer erhoben. 

 

Auswirkungen

 

Die Auswirkungen der fehlerhaften Bewertung können hoch sein. Dazu ein Beispiel: Der jährliche Reinertrag eines Geschäftsgrundstücks beträgt 181.169 €. Er kann bei der typisierenden Bewertung mit den Einkünften aus der Vermietung gleichgesetzt werden. Berechnet man die Einkommensteuer analog § 202 Abs. 3 BewG mit 30 %, ergibt sich eine jährliche Einkommensteuer von 54.351 €. Sie hat einen Barwert von 694.602 €. Darauf wird Erbschaftsteuer erhoben. Sie beträgt in der Steuerklasse I bei einem Satz von 19 % 131.974 € und in der Steuerklasse III bei einem Satz von 30 % 208.381 €.

 

Verfassungswidrigkeit der steuerlichen Bewertung

 

Der gemeine Wert eines Grundstücks kann durchaus in einem typisierenden Bewertungsverfahren ermittelt werden. Es muss jedoch geeignet sein, den gemeinen Wert auch darzustellen, also den Kaufpreis, den ein gedachter Käufer bei Berücksichtigung aller preisrelevanten Umstände zahlen würde (§ 9 Abs. 2 BewG). Dazu gehört die Einkommensteuer auf Vermietungseinkünfte. 

 

Nun lässt sich dem entgegenhalten, dass der Erbe oder der Beschenkte normalerweise einen Kaufpreis erzielen kann, der auf einem Gebäudeertrag vor Einkommensteuer beruht, sodass sich der Barwert der Einkommensteuerlast auf den Preis nicht auswirkt. Auch die gegenwärtigen Verhältnisse auf dem Grundstücksmarkt mit zum Teil astronomischen Preisen scheinen darauf hinzudeuten, dass die Einkommensteuer den Kaufpreis nicht beeinflusst. Aber diese Preise sind für eine langfristige Betrachtung, die bei bebauten Grundstücken angezeigt ist, nicht repräsentativ. Realistisch betrachtet kann der Einkommensteueranteil im Ertragswert einen Zuwachs an Leistungsfähigkeit für Zwecke einer Besteuerung nicht begründen. Denn auch eine typisierende Bewertung ist kein Mittel zur gerechten Besteuerung, wenn ihr Ergebnis einen Anteil enthält, den der Erwerber nie hat, weil ihm die Allgemeinheit diesen Anteil qua Einkommensteuer wegnimmt. 

 

Dass eine finanzielle Last keine finanzielle Leistungsfähigkeit zur Steuerzahlung vermittelt, liegt auf der Hand. Deshalb handelt es sich bei der Besteuerung des Barwerts der Einkommensteuer um einen gegen Art. 14 Abs. 1 GG verstoßenden Eigentumsentzug. Denn es wird keine reale Leistungsfähigkeit besteuert, die damit im Einklang steht, sondern eine fiktive Leistungsfähigkeit, so dass die Besteuerung eines Nichtwerts vorhandenes Eigentum wegnimmt und Enteignungscharakter hat. Zudem liegt eine gleichheitswidrige Besteuerung im Sinne von Art. 3 Abs. 1 GG vor, wenn der Ertragswert eines Unternehmens oder einer Unternehmensbeteiligung unter Berücksichtigung der Einkommensteuerlast berechnet wird und der Ertragswert bebauter Grundstücke nicht, ohne dass es dafür einen sachlichen Grund gibt. Und zum Dritten ist das verfassungsrechtliche Übermaßverbot verletzt, das sich aus Art. 20 Abs. 3 GG ergibt. Übermaß ist im Beispielsfall anzunehmen, da der Ertragswert vor Einkommensteuer den Ertragswert nach Einkommensteuer um rd. 36 % übersteigt.  

 

Verfassungskonforme Auslegung des BewG

 

Mit der vom BVerfG verlangten Reform des ErbStG sollte erreicht werden, dass auch das Grundvermögen nach seinem gemeinen Wert besteuert wird; die gemeinen Werte der verschiedenen Einheiten sollten mittels typisierender Bewertung bestimmt werden. In die Bewertung von Unternehmen und Unternehmensbeteiligungen sind wertmindernde Ertragsteuern folgerichtig eingegangen. Bei der Bewertung des Grundvermögens sind sie das nicht. Darin ist die folgerichtige Umsetzung der Grundentscheidung lückenhaft. Diese Lücke kann geschlossen werden, indem der Ertragsteueraufwand bei der typisierenden Bewertung von Grundvermögen im Ertragswertverfahren berücksichtigt wird. Das muss von Amts wegen erfolgen, damit eine verfassungskonforme Besteuerung stattfindet. Ein Antrag des Steuerpflichtigen ist also nicht erforderlich. Auch ein Nachweis nach § 198 Abs. 1 BewG erübrigt sich. Um zu einem Reinertrag nach Einkommensteuer zu kommen, muss nur der Reinertrag vor Einkommensteuer um 30 % vermindert werden. Für diesen einfachen Rechenvorgang wird kein Gutachten eines Grundstückssachverständigen benötigt, der dafür in der ImmoWertV ohnehin keine Grundlage findet. 

 

 


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