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Schenkung eines vermieteten Mehrfamilienhauses oder eines Geschäftsgrundstücks unter Nießbrauchsvorbehalt

Schenkung eines vermieteten Grundstücks unter Nießbrauchsvorbehalt

Dr. Hanspeter Daragan, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht, Bremen

 

Weisheiten wundersam

Es ist eine alte Weisheit, dass ein Vorbehaltsnießbrauch den Wert eines vermieteten Grundstücks mindert, zivilrechtlich wie schenkungsteuerlich. Es ist auch eine alte Weisheit, dass sich mit einem Nießbrauch die Bemessungsgrundlage mindern lässt, nach der die Schenkungsteuer für die Schenkung berechnet wird. 

Denn der Beschenkte, den die Schenkungsteuer trifft, hat ein Wahlrecht: Er kann die Bemessungsgrundlage nach den steuerlichen Vorschriften ermitteln. Er kann sie aber auch nach den Regeln des Zivilrechts ermitteln. Und wenn sich die Werte unterscheiden, was nahezu immer der Fall ist, dann ist der jeweils niedrigere Wert maßgebend. Dabei verlieren, kann er also nicht.

Die Wertminderung durch den Nießbrauch kann durchaus dramatisch sein. Dazu ein Beispiel: Der Sachverständige hat ein Geschäftsgrundstück bewertet. Es hatte unbelastet einen Wert von rd. 2.800.000 €. Ein Vorbehaltsnießbrauch zugunsten der Schenkerin im Alter von 55 Jahren würde diesen Wert auf 150.000 € mindern. Wenn der Beschenkte in der Steuerklasse I wohnt und seinen Freibetrag von 400.000 € zumindest noch in Höhe von 150.000 € zur Verfügung hat, würde die Schenkungsteuer 0 € betragen. Selbst in der Steuerklasse III mit einem Freibetrag von 20.000 € und einem Steuersatz von 30 % ist das noch ein Schnäppchen.

Bewertung in drei Schritten

Sowohl steuerlich wie zivilrechtlich wird der Wert des nießbrauchsbelasteten Grundstücks in drei Schritten ermittelt. Sie führen, anders als die Echternacher Springprozession, alle in die gleiche Richtung.

  • Erster Schritt: Es wird der Wert des unbelasteten Grundstücks ermittelt.
  • Zweiter Schritt: Es wird der Wert des Nießbrauchs ermittelt.
  • Dritter Schritt: Es wird der Wert des nießbrauchsbelasteten Grundstücks ermittelt.
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Wert des unbelasteten Grundstücks

Das Finanzamt berechnet den steuerlichen Wert des Grundstücks nach den Regeln des Bewertungsgesetzes, in Kurzform BewG. Der Sachverständige bewertet nach den Regeln der Verordnung über die Grundsätze für die Ermittlung der Verkehrswerte von Immobilien und der für die Wertermittlung erforderlichen Daten, in Kurzform ImmoWertV. 

Finanzamt wie Sachverständiger suchen idealtypisch den gleichen Wert. Im Zivilrecht ist das der Verkehrswert, im Schenkungsteuerrecht ist es der gemeine Wert. Die beiden Begriffe sind inhaltlich identisch. Auch die Bewertungsverfahren entsprechen sich in den Grundzügen. Beide sind keine reinen, sondern modifizierte Ertragswertverfahren. Der Wert des Grund und Bodens richtet sich nach dem Bodenrichtwert, also dem Bodenwert eines fiktiven Vergleichsgrundstücks. Im Ertragswertverfahren selbst wird nur der Teil des Reinertrags bewertet, der auf das Gebäude entfällt. Aber, wie kaum anders zu erwarten, die Verfahren unterscheiden sich im Detail, in dem bekanntlich nicht nur der Teufel steckt, sondern auch das Ergebnis. Deshalb ist es wenig verwunderlich, dass sich die Ergebnisse unterscheiden.

Wert des Nießbrauchs

Da der Nießbrauch auf die Lebenszeit des Nießbrauchers besteht, wird sein Gegenwartswert, nach den Regeln der Finanzmathematik berechnet. Dabei vor allem von Bedeutung ist die Dauer des Nießbrauchs, also die Lebenserwartung des Berechtigten. Von Bedeutung ist auch, wie die künftigen Reinerträge des Nießbrauchs anfallen. Und von Bedeutung ist schließlich noch, mit welchem Zinssatz die künftigen Reinerträge abgezinst werden. Denn je höher der Zinssatz ist, desto niedriger ist der abgezinste Wert, und umgekehrt. Als Endergebnis ergibt die Summe der Barwerte der künftigen Reinerträge den abzugsfähigen Wert des Nießbrauchs.

Finanzamt wie Sachverständiger orientieren sich an dem Reinertrag, den sie bei der Bewertung des unbelasteten Grundstücks angesetzt haben. Das Finanzamt nimmt daher den Rohertrag, der nach den am Bewertungsstichtag geltenden vertraglichen Vereinbarungen für die nächsten zwölf Monate zu zahlen ist. Davon zieht es typisierte Bewirtschaftungskosten ab. Im Gegensatz dazu orientiert sich der Sachverständige an dem künftigen marktüblichen Rohertrag und mindert ihn um die zu erwartenden tatsächlichen Bewirtschaftungskosten. 

Das Finanzamt sucht den Kapitalwert des Nießbrauchs nach den Regeln des BewG. Sie geben die statistische Lebensdauer des Nießbrauchers, eine mittelschüssige Zahlungsweise und den Zinssatz bindend vor.

Auch der Sachverständige bestimmt die Lebensdauer nach ihrem statistischen Wert. Aber er ist daran nicht gebunden. Außerdem orientiert er sich an der vereinbarten, regelmäßig vorschüssigen Zahlungsweise und rechnet mit dem Liegenschaftszinssatz als dem Satz, mit dem sich der Grundstückswert erfahrungsgemäß verzinst.

Wert des nießbrauchsbelasteten Grundstücks

Das Finanzamt nimmt den Steuerwert des unbelasteten Grundstücks und zieht davon den Kapitalwert des Nießbrauchs ab. Da der Steuerwert eines Grundstück, das Wohnzwecken dient, um 10 % ermäßigt wird, wird auch der Kapitalwert des Nießbrauchs so gekürzt. Der Sachverständige nimmt also den Verkehrswert des unbelasteten Grundstücks und zieht davon den Kapitalwert des Nießbrauchs ab. Aber damit hat es kein Ende. 

Marktanpassungsabschlag

Denn der Sachverständige nimmt zusätzlich noch einen Marktanpassungsabschlag vor, der unter anderem die mit dem Nießbrauch verbundenen wirtschaftlichen Risiken abbildet, die noch nicht in die Bewertung eingegangen sind.

  • Der Jeanne-Calment-Effekt

Besonders ins Gewicht fällt dabei die restliche Lebensdauer des Nießbrauchers. Denn sie deckt sich nicht zwangsläufig mit seiner statistischen Lebenserwartung. Vielmehr besteht ganz generell das Risiko, dass der Nießbraucher länger lebt, als die Statistik vorgibt. Deshalb wirkt sich bei der Marktanpassung der Jeanne-Calment-Effekt aus. Der Begriff geht auf Frau Calment zurück, eine Französin, die 122 Jahre alt geworden ist. Im Alter von 90 verkaufte sie eine Eigentumswohnung gegen eine lebenslange Rente. Als der beim Kauf 47jährige Käufer, der sich an der Statistik orientiert hatte, 30 Jahre später, also 77 Jahre alt geworden, starb, hatte er bereits den doppelten Wert der Wohnung gezahlt. Und seine Witwe zahlte die Rente noch zwei Jahre weiter.

  • Der Billy-the-Kid-Effekt

In die entgegengesetzte Richtung wirkt der Billy-the-Kid-Effekt. Wie Westernliebhaber wissen, war Billy the Kid ein Revolverheld, der im Alter von 21 oder 22 Jahren erschossen wurde, also weit vor dem Ende seiner statistischen Lebenszeit. Vorzeitig sterben kann natürlich auch ein Nießbraucher, warum und wie auch immer. Aber das nimmt keinen Einfluss auf die Marktanpassung. Denn Menschen haben eine Scheu vor Verlusten. Sie bewerten daher das Risiko eines Verlustes immer höher als die Chance eines Gewinns. Deshalb würde ein gedachter Käufer des Grundstücks, der risikoavers denkt, nur das Risiko berücksichtigen, dass der Nießbrauch länger besteht als erwartet. Ein vorzeitiges Ende des Nießbrauchs, das aus seiner Sicht auf Zufall beruht, würde er hingegen ignorieren.

Die Qual der Wahl

Das Finanzamt rechnet kostenlos, der Sachverständige nicht. Er kostet Geld. Das wiederum lässt im Vorfeld fragen, ob sich sein Gutachten lohnt. Denn die Kosten dafür sollten geringer sein als die mit dem Gutachten ersparte Schenkungsteuer. Erfahrungsmäßig ist das auch der Fall, sodass das Gutachten einen monetären Gewinn verspricht.

Bei der Entscheidung hilft eine Faustregel aus der Praxis, die lautet: Wenn der Schenker oder die Schenkerin 65 Jahre alt ist, mindert der Vorbehaltsnießbrauch den Verkehrswert des Grundstücks um 90 % auf 10 %. Dass die Minderung noch höher ausfällt, wenn er oder sie jünger sind, versteht sich von selbst. Auch das Beispiel zeigt das. Es muss also nur der verbleibende Restbetrag des Verkehrswert mit dem nießbrauchsgeminderten Steuerwert verglichen werden, und man weiß, wohin die Reise geht.

Angenehmer Nebeneffekt des Gutachtens

Das Sachverständigengutachten hat außerdem einen angenehmen Nebeneffekt, der nicht immer gesehen wird. Er handelt davon, ob und wie es sich auswirkt, wenn der Nießbraucher oder die Nießbraucherin vor dem Ablauf der statistischen Lebenserwartung stirbt. Steuerlich kann ein frühes Vorversterben zu einer rückwirkenden Korrektur des Nießbrauchswerts und dadurch zu einer höheren Schenkungsteuer führen. Aber auf den Nießbrauchswert des Sachverständigengutachtens wirkt sich ein Vorversterben nicht aus. Er bleibt unverändert, und daher auch der Marktanpassungsabschlag.

Auswahl des Sachverständigen

Ein Wort noch zur Auswahl des Sachverständigen. Nicht alle Sachverständigen können mit dem Marktanpassungsabschlag umgehen. Manch einer kennt ihn nicht, ein anderer weiß nicht, wie man ihn so begründet, dass ihn das Finanzamt übernimmt. Wie so oft im Leben gilt also auch hier: Vorher fragen hilft.

 


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